Artikel in Cogito, der Zeitschrift des VSStÖ Linz
"War is peace, freedom is slavery, ignorance is strength." George
Orwell: 1984
"Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik." Koalitionsvereinbarung
zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, 20. 10. 1998
NATO-Krieg - Präzedenzfall für die neue Welt(un)ordnung
Von Gerald Oberansmayr (Friedenswerkstatt Linz)
Von Anfang an hat die Friedenswerkstatt Linz gemeinsam mit anderen
Organisationen gegen den NATO-Krieg mobilisiert. Dieser Krieg
ist ein verbrecherischer Krieg. Er löst kein einziges Problem
und schafft eine Vielzahl neuer.
Elend der Zivilbevölkerung eskaliert
Eines der von der NATO angegebenen Hauptziel des Krieges war der
Schutz der
Zivilbevölkerung. Nach mehr als drei Wochen Krieg wissen wir:
das Gegenteil ist passiert. Während vor dem Krieg OSZE-Beobachter
und humanitäre Hilfsorganisationen für einen - leidlichen - Schutz
der Zivilbevölkerung sorgen konnten, ist seit dem Ausbruch des
Krieges das humanitäre Elend eskaliert. Ohne die OSZE-Beobachter
und ohne die Hilfsorganisationen ist die Zivilbevölkerung umso
schutzloser den Vertreibungen ausgesetzt. Bereits in der ersten
Kriegswoche mussten fünf Mal soviele Menschen aus dem Kosovo flüchten,
wie in der gesamten Zeit davor.
Ähnlich wie im Golfkrieg entpuppt sich auch beim Krieg gegen Jugoslawien
die sogenannte "chirurgische" Kriegsführung als Propagandatrick.
Mittlerweile werden ganze Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen,
Personenzüge und Fabriken durch die "zielgenauen" Bombardements
wegrasiert. Die Zivilbevölkerung zählt sowohl im Kosovo als auch
in Serbien zu den Hauptopfern der "humanitären Intervention".
Politisch wurde das Regime von Milosevic gestärkt und die demokratische
Opposition in Serbien vollkommen in die Defensive gedrängt.
Durchsetzung des Faustrechts
Der Krieg der NATO ist ein offener Bruch des Völkerrechts. Jede
Bombe der NATO trifft auch die UNO. Das ist nicht nur eine "Begleiterscheinung"
des Krieges, sondern eines der Hauptziele. Die reichen Staaten
signalisieren damit unmißverständlich, dass sie in Hinkunft sich
selbst das Mandat dafür erteilen werden, wo und wann und gegen
wen sie Krieg führen. Wer immer westlichen Interessen im Weg steht,
muss in Hinkunft mit dem schlimmsten rechnen. Die Frage der "Menschenrechte"
dient dabei als Vorwand. Während Jugoslawien zum "Gott-sei-bei-uns"
der internationalen Staatenwelt erklärt wird, wird die Türkei
sogar mit Waffen beliefert, um ebenfalls eine Vertreibungspolitik
zu organisieren. Der Unterschied: die Türkei ist NATO-Mitglied
und gefügig. Jugoslawien dagegen hat sich in der Vergangenheit
immer wieder halsstarrig erwiesen: z. B. war Serbien - im Unterschied
zu Kroatien und Slowenien - nicht bereit, sich bedingungslos den
Auflagen des internationalen Währungsfond zu unterwerfen. Spätestens
da hört sich jedes Verständnis der "westlichen Wertegemeinschaft"
auf.
Bombengeschäft für die Rüstungsindustrie
Laut Kurier von 3. April kostet jeder Kriegstag 3,5 Milliarden
Schilling. Kein Wunder, dass ob des gigantischen Verschleiß die
Aktienkurse der Rüstungsindustrie boomen. Bei vier weiteren Wochen
ergibt das 133 Milliarden öS. Italienische Berechnungen ergeben
noch gewaltigere Summen: sie kommen auf 195 Milliarden öS. Das
entspricht fast der Summe der gesamten Schulden, die Jugoslawien
Anfang der 90´er Jahre im Ausland gehabt hat. Die enorme Verschuldung
Jugoslawiens und die dadurch ausgelösten Verarmungsprozesse waren
einer der Treibsätze für Sezession, Nationalismus und Krieg. Wäre
dasselbe Geld, das nun eingesetzt wird, um Jugoslawien in ein
Land der 4. Welt zurückzubomben, in die soziale und wirtschaftliche
Entwicklung der Region gegangen, hätten die Wurzeln des Nationalismus
ausgetrocknet und damit das Fundament für eine dauerhafte friedliche
Entwicklung geschaffen werden können.
Krieg gegen zivile Konfliktlösungen
Je länger der Krieg dauert, desto mehr kommt die Wahrheit über
die Verhandlungen von Rambouilett an den Tag. Während die BR Jugoslawien
einer
Autonomie des Kosovo unter OSZE-Aufsicht zustimmte, lautete die
Forderung der NATO-Staaten schlicht und einfach: entweder volle
Bewegungsfreiheit für NATO-Truppen im gesamten (!) jugoslawischen
Staatsgebiet (nicht nur im Kosovo) oder Bomben. Diese Forderung
war in einem Anhang zum Rambouillet-Vertrag enthalten, den der
deutsche Außenminister Fischer selbst vor den Abgeordneten seiner
eigenen Fraktion geheimgehalten hat. Geheim- und Kananonbootdiplomatie
im Stile des 19. Jahrhunderts. Selbst Abgeordnete der Regierungsparteien
konzedieren mittlerweile, dass diese NATO-Forderung für Jugoslawien
unannehmbar war, hätte das doch die defacto Okkupation Jugoslawiens
bedeutet. Wer unannehmbare Forderungen stellt, will nicht verhandeln,
sondern Krieg führen. Den Kosovo-Albanern kam die Rolle des Bauernopfers
zu in diesem mörderischen Schach. (siehe: Rambouilett)
Remilitarisierung Deutschlands
Die deutsche Außenpolitik hat wesentlich zur Zerschlagung Jugoslawiens
beigetragen. Es war der massive Druck Deutschlands, der die EU
dazu gebracht hatte, Anfang der 90´er Jahre Kroatien und Bosnien
vorschnell anzuerkennen, ohne dass Lösungen für die vielschichtigen
Minderheitenfragen existierten. Nicht zuletzt diese Ermutigung
für die "reichen" Republiken wie Slowenien und Kroatien, sich
vom "Armenhaus" Serbien loszulösen, um doch noch den Sprung in
die Europäische Reichtumsfestung zu schaffen, setzte auf allen
Seiten eine Welle des Nationalismus in Gang. Diese gezielt beförderte
Ethnisierung sozialer Konflikte mündete schließlich im Krieg.
Für Deutschland bedeutete das nicht nur die Ausweitung seiner
Hegemonie auf den Balkan, die deutschen Eliten sahen damit die
Chance gekommen, die Remilitarisierung unter dem Mantel "humanitärer
Interventionen" voranzutreiben. 1992 wurde in den Verteidigungspolitischen
Richtlinien bereits unmißverständlich als Aufgabe der deutschen
Bundeswehr "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des
Zugangs zu strategischen Rohstoffen in aller Welt" definiert.
Außenminister Kinkel machte 1993 klar, daß Deutschland es nun
ein drittes Mal versuchten möchte: "Nach außen gilt es etwas zu
vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang
mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen
und unserem Potential entspricht.... Unsere Bürger haben begriffen,
daß die Zeit unseres Ausnahmezustandes vorbei ist." Und auch Joschka
Fischer wußte schon 1996, was gefordert ist, wenn man einmal Außenminister
werden will: Deutschland sollte "jetzt, nachdem es friedlich und
zivil geworden ist, all das, was ihm Europa, ja die Welt in zwei
großen Kriegen erfolgreich verwehrt hat, nämlich eine Art ?sanfter
Hegemonie' über Europa" bekommen, eine Übermacht, die ihm aufgrund
"seiner Größe, seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner Lage"
auch zustehe.
Mit dem Krieg gegen Jugoslawien hat Deutschland seine friedliche
Nachkriegsgeschichte beendet. Das Tempo der Remilitarisierung
ist atemberaubend. Was vor einem Jahr noch eine Minderheitenposition
am rechten Rand von CDU/CSU war, ist heute Regierungslinie von
rot-grün: Deutsche Soldaten beteiligen sich an einem Angriffskrieg
ohne UNO-Mandat gegen ein Land, in dem bereits die Nazi-Wehrmacht
gewütet hat. Der "Ausnahmezustand" (Kinkel) ist vorbei.
Eine neue Anti-Kriegsbewegung ist notwendig!
Europaweit beginnt sich eine neue Anti-Kriegsbewegung zu regen,
die erkennt, dass der NATO-Angriff nicht Menschenrechte schützt,
sondern die Rückkehr des Faustrechts in die internationalen Beziehungen
herbeibombt. Diese Bewegungen müssen noch stärker, breiter und
lauter werden. Sie sind die einzige Chance, zu verhindern, dass
die Großmachtspolitik der wirtschaftlich Starken zu einer ständigen
Quelle heißer Kriege im Kampf um die Aufteilung der Welt werden.
Nur durch eine starke Anti-Kriegsbewegung kann es gelingen, die
Demontage der Vereinten Nationen zu verhindern und friedliche
Konfliktlösungen zu stärken.
Jeder Tag, jede Stunde früher, wo es uns gelingt, diesen NATO-Angriff
zu stoppen, werden Menschenleben gerettet. Jede Widerstandsaktion,
jede Aktivität gegen den Krieg entscheidet darüber mit, ob die
US-amerikanischen und EUropäischen Eliten es wagen, weiter in
Richtung einer neuen Welt(un)ordnung zu gehen, in der nur mehr
das Recht des Stärkeren zählt.
Für Hintergrundinformationen zum Krieg in Jugoslawien:
"Guernica - Sonderausgabe der Friedenswerkstatt Linz", zu bestellen
bei: Friedenswerkstatt Linz, Dinghoferstr. 27, 4020 Linz, Tel.
0732/771094, Fax 0732/797391, e-mail: friedenswerkst.linz@demut.at und Anti-Kriegs-Webpage des KV Kanal: http://www.servus.at/kanal/nato.htm
Auch wird noch die Information zu Ramboilllet abgedruckt.
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