Am Himmel: die NATO - am Boden: Milosevic
Die serbische Opposition zum NATO-Angriff: "Der letzte Schlag
gegen die Möglichkeiten einer Demokratisierung"
Seit Beginn der NATO-Bombardierungen haben sich die Bedingungen
für die serbische Opposition massiv verschlechtert. "Die NATO-Militärintervention
hat alles, was wir erreicht haben, untergraben, und gefährdet
das bloße Überleben des zivilen Sektors in Serbien", heißt es
in einer Erklärung 17 serbischer NGOs vom 6. April, in der sie
unter anderem den sofortigen Stopp der Bombardierungen und aller
bewaffneten Aktionen fordern.
Die meisten Oppositionellen meiden die Luftschutzkeller, da dort
die Gerüchteküche kocht und Angst sowie Haß verbreitet werden.
Doch die zunehmenden "Kollateralschäden" - fehlgeleitete Bomben
auf zivile Einrichtungen - machen dies schwieriger. Es herrscht
eine Atmosphäre der Angst, wie Bojan Aleksov für die Frauen in
Schwarz berichtet: "Die Menschen fürchten, die verbleibenden Brücken
zu überschreiten. Nur wenige tun dies am Tage und so gut wie keiner
in der Nacht. Alle Brücken nach Kroatien wurden zerstört, die
Situation für die verbleibenen SerbInnen in der Gegend von Vukovar
(Kroatien) wird härter.
Es ist kein Wunder, daß sich in dieser Situation viele ehemalige
Oppositionelle zu Milosevic und seiner Regierung wenden. Die gleichen
Menschen, die vor nur wenigen Jahren geschlagen und inhaftiert
wurden, weil sie amerikanische Flaggen getragen hatten, verbrennen
diese nun."
Zoran Djindjic, einer der Oppositionsführer während der Winterdemonstrationen
in Belgrad vor zwei Jahren, sieht in dieser eskalierenden anti-amerikanischen
Stimmung auch eine Gefahr für die Zukunft: "Wenn die Europäer
und die Amerikaner nicht mehr unsere Freunde sind, dann werden
das in Zukunft die chinesischen oder russischen Kommunisten sein.
Dann haben wir nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft
verspielt". Djindjic weiter: "Die Menschen hier sehen die Intervention
nicht gegen den Präsidenten, sondern gegen ihr Land gerichtet."
Auch aus Serbien fliehen viele Menschen, wie Bojan Aleksov berichtet,
sind Tausende bereits nach Ungarn geflohen. Doch jetzt ist die
Grenze für alle Männer zwischen 18 und 60 geschlossen. Das Ausmaß
der Mobilisierung in Serbien ist beispiellos. Es scheint keinen
Ausweg zu geben. Militärgerichte wurden eingerichtet, um gegen
Wehrdienstflüchtlinge vorzugehen.
Die Strafen wurden erhöht, und nach verschiedenen Berichten wurde
die Todesstrafe wieder eingeführt. Während zur Zeit des Krieges
gegen Kroatien und in Bosnien zeitweise im Raum Belgrad nur 10%
den Einberufungen Folge leisteten, hat sich das Bild jetzt total
gewandelt. "Die meisten Menschen befolgen die Einberufungsbefehle,
was verständlich ist, berücksichtigt man den totalen Krieg, den
die NATO gegen Serbien im Moment führt.", so Bojan Aleksov. "Hineingezogen
in einen Krieg, den die meisten von ihnen nie wollten, werden
diese Soldaten nun Opfer unvorhergesehener NATO-Bombardierungen."
Von Andreas Speck, Mitarbeiter von Patchwork - Verein zur Förderung
demokratischer Selbstorganisation e.V. und Vorstandsmitglied der
War Resisters` International (WRI)
Appell serbischer Nichtregierungs-Organisationen
Tief beunruhigt durch die NATO-Zerstörungen und die Qualen der
Kosovo-Albaner fordern wir, die Repräsentanten von Nichtregierungs-Organisationen
und der Gewerkschaft Nezavisnost" (Unabhängigkeit), mit Nachdruck
von allen für diese Tragödie Verantwortlichen, unverzüglich den
Boden für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses zu bereiten.
Es ist offensichtlich, dass dieser Weg in die Katastrophe führt,
und die friedliche und faire Lösung des Kosovo-Problems durch
internationale Mediation, die wir seit Jahren unterstützt haben,
scheint heute weiter entfernt zu sein als jemals zuvor.
Die früheren Aktivitäten unserer Organisationen auf dem Gebiet
der Demokratisierung, der Entwicklung einer Zivilgesellschaft
und der Anerkennnung der Bundesrepublik Jugoslawien durch internationale
Institutionen standen unter konstantem Druck und fortwährender
Einschüchterung durch das serbische Regime. Als Mitglieder von
Organisationen der Zivilgesellschaft haben wir couragiert und
landesweit gegen Krieg und nationalistische Propaganda sowie für
die Einhaltung der Menschenrechte gekämpft. Wir betonen, dass
wir immer gegen die Unterdrückung der Kosovo-Albaner unsere Stimmen
erhoben und gefordert haben, ihre Freiheiten zu respektieren und
ihre Rechte zu garantieren. Wir haben auch darum gebeten, zur
Autonomie des Kosovo zurückzukehren. Wir stellen nachdrücklich
fest, dass die Begegnungen und Kooperationen zwischen Serben und
Albanern in diesen Jahren nur durch den Schutz der Institutionen
der Zivilgesellschaft möglich waren.
Die militärische Intervention der NATO hat alles bislang Erreichte
unterlaufen und gefährdet das Überleben der Zivilgesellschaft
in Serbien erheblich. In dieser tragischen Situation und im Namen
humanitärer Ideen und Werte sowie in Übereinstimmung mit unseren
früheren Anstrengungen fordern wir:
? die Bombardements und alle bewaffneten Aktivitäten unverzüglich
zu stoppen,
? den Friedensprozess mit internationaler Mediation fortzusetzen,
sowohl in der Balkanregion und in Europa als auch im Netzwerk
der Vereinten Nationen,
? die gemeinsame Verantwortung von Europäischer Union und Rußland
sowie ihren gemeinsamen Beitrag zu einer friedlichen Krisenlösung,
? ein Ende der "ethnischen Säuberungen" und die sofortige Rückkehr
aller Flüchtlinge,
? Unterstützung der Bürger Montenegros in ihren Bemühungen, Frieden
und Stabilität zu erhalten,
? die ernsten Konsequenzen der Flüchtlingskatastrophe abzuwenden
und den Demokratisierungsprozess voranzutreiben.
Von den serbischen und den internationalen Medien fordern wir,
die Öffentlichkeit sachlich und wahrheitsgemäß zu informieren
und keinen Medienkrieg in Gang zu setzen, nicht zum Völkerhaß
anzustiften, keine irrationale öffentliche Meinung zu schaffen
und Stärke nicht als ultimatives Ziel menschlicher Vernunft zu
verherrlichen.
Diese Forderungen können wir nicht allein verwirklichen.
Wir erwarten, dass Sie unsere Forderungen unterstützen und in
Ihren Initiativen und Aktionen zu deren Umsetzung beitragen.
Bürgervereinigung für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Unterstützung
der Gewerkschaften, Belgrader Zirkel, Zentrum für Demokratie und
freie Wahlen, Zentrum für den Übergang zur Demokratie, Staatsbürgerliche
Initiativen, Europäische Bewegung in Serbien, Forum für ethnische
Beziehungen, und Stiftung für Frieden und Krisenmanagement, Gruppe
484, (Helsinki-Komitee für Menschenrechte in Serbien, Serbische
Studentenunion, Union für die Wahrheit über den antifaschistischen
Widerstand, Gewerkschaft Unabhängigkeit, Wöchentliche Video-Nachrichten,
Frauen in Schwarz, Rechtsanwälte für Menschenrechte, EKO Zentrum
Belgrad, 06. April 1999, (Übersetzung IPPNW-Geschäftsstelle 13.4.1999,
http://www.ippnw.de), Orginal in Englisch Znet: http://www.zmag. org |