Text für das Diskussionpanel „Medien und Antikriegsarbeit“ am 5. September 2000 / Free Speech Camp von Radio FRO im Rahmen der Ars Electronica
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Medienrealität und Perpektiven freier Medien anhand des Beispiels des Kriegs gegen Jugoslawien

Enthistorisierte und atomisierte Medienrealität
Pierre Bourdieu analysiert in „Über das Fernsehen“, daß die herrschenden Medien mit der Strategie des Atomisierens und Enthistorisierens arbeiten. Beim ersten Blick auf die Berichterstattung über den Krieg gegen Jugoslawien 1999 möchte man/frau ihm widersprechen. Viel wurde über die historische Entwicklung Jugoslawiens berichtet und tagtäglich wurden massenhaft Fakten wurden zum Kriegsverlauf geliefert.

Doch beim zweiten Blick auf die Materie wird klar, daß Bourdieu recht hat. Medien haben diesen Konflikt enthistorisiert, indem sie nur die eine Seite der Geschichte dargestellt haben, nämlich die historische Entwicklung Jugoslawien, aber kaum ein Wort über die historische (und auch aktuelle) Entwicklung und Funktion des Militärpakts NATO zu hören war. Kein Thema war, daß die NATO ein Angiffspakt ist, der noch immer eine Atomdoktrin

(Möglichkeit eines atomaren Erstschlags) hat und welche öknomischen Interessen mit diesem Militärpakt verwoben sind.

Ebenso wirkten die Medien - an ihrer Quotenlogik orientiert - atomisierend, indem die vorwiegende Form der Berichterstattung sich auf kurze, wenige Zeilen oder Sekunden lange Informationen beschränken, die dem/der Rezipent/in es weitreichend verunmöglichte, einen größeren Kontext herzustellen. Besonders kennzeichnend dafür war, daß kein Zusammenhang zwischen dem Krieg gegen Jugoslwien und dem NATO-Gipfel in Washington und dem EU-Gipfel in Köln hergestellt wurde - beides Schritte zu einer weiteren Militarisierung, vor allem im Sinne der Umgestaltung dieser Militärpakte für neue Interventionskriege, deren erster und Prototyp der Krieg gegen Jugoslawien war.

Suggestion von Vielfalt und Verschweigen
Medien suggerieren die Darstellung einer Vielfalt von Meinungen. Realität ist aber, daß das Spektrum der Meinungen immer mehr verschoben wird in Richtungen einer ausschließlichen Darstellung von Postionen der politischen Mitte und der Rechten. So hatten Antikriegspositionen in der medialen Realität keinen Platz, obwohl es in Österreich und vielen anderen Ländern eine vielfältige Antikriegsarbeit gab.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Umgang mit dem Thema „Vergewaltigung im Krieg“. Es wurde über eine Initiative der damaligen Frauenministerin Prammer berichtet, die in Kooperation mit der Spendeninitiative „Nachbar in Not“ eine eigene Hilfsaktion für von Vergewaltigung betroffene Frauen im Kriegsgebiet ins Leben gerufen hatte, die vor allem Frauen aus dem Kosov@ helfen sollte.

Das furchtbare Thema Vergewaltigung im Krieg anzusprechen, suggeriert für den/die Rezipent/in, daß ohnehin auch über die schrecklichen Folgen des Krieges berichtet wird. Doch: Die Kritik des unabhängigen Frauenforums (UFF) und einer ihrer Mitarbeiterinnen, der Journalistin Eva Rossmann, wurde verschwiegen. Kein mediales Thema war, daß diese Form der Hilfe für Vergewaltigungsopfer zu spät konzipiert war und daß betroffenen Frauen aller Seiten geholfen werden sollte. Die grundsätzliche Kritik am Versuch die Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien mittels Bomben lösen zu wollen seitens des UFF kam in den Medien nicht vor - außer in Freien Medien, wie dem Freien Radio. So hat z.B. Radio FRO Linz Frau Rossmann in einem längeren Interview Gelegenheit gegeben ihre differenzierten Positionen zum Krieg und zum Umgang mit vom Krieg betroffenen Frauen darzulegen.
Medienkonzerne haben ökonomische Interessen!
Heute, mehr als 1 Jahr nach dem Krieg gegen Jugoslawien wird die Interessensgeleitetheit dieses Krieges noch sichtbarer. Es ging um die Durchsetzung einer neuen Weltordnung auch mit militärischen Mitteln. Ökonomische Machtbehilft sich nun auch wieder der militärischen Macht.

Um das Thema Medien und Krieg umfassend anzusprechen, ist es auch notwendig über die ökonomische Dimension der Medienindustrie zu sprechen. In allen westlichen Industrieländern schreitet die Konzentration im Mediensektor stetig voran, gekennzeichnet wird diese durch eine Verknüpfung horizontaler (verschiedene Medienkonzerene in einem Feld fusionieren) und vertikaler (im Hinblick auf die Medienkonvergenz

fusionieren Medienkonzerne aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern bis hin zu Unterhaltungsindustrie und technischen Infrastruktur) Konzentration. In Österreich betrifft das v.a. die Beteiligung der (teilweise ohnehin vom deutschen Kaptial dominierten) Printmedienkonzerne an Radiosendern, Fernsehsendern und an Internetprojekten. Die derzeit in Begutachtung befindliche neue Regionalradiogesetz öffnet hier noch weitere Türen für eine fortschreitende Konzentration. Mit Strategien, daß Inhalte aus einer Hand für verschiedene Medien produziert werden (cross media publishing), wird effizent gearbeitet im Sinne des Profitprinzips, doch der Einheitsbrei noch mehr gefördert, die Meinungsvielfalt noch mehr beschränkt.
„Ideale“ Medien
Medien, die Meinungsvielfalt und fundierte Informationen ermöglichen, sollten meiner Meinung nach folgende Funktionen erfüllen:
  • Umfassende Information über alle Teilaspekte eines Themas. Diese sollten in einen Kontext gestellt werden, der für den/die Rezipent/in nachvollziehbar ist. Gegebenheiten, wie z.B. das Vorhandensein des Militärpakts NATO sollten nicht nur dargestellt werden, sondern die Funktion dieser sollte offengelegt werden, d.h. hier z.B. eine umfassende Information über die historische und aktuelle Entwicklung des Militärpakts NATO und in Österreich auch das Verhälntis unseres Landes zur NATO und die fortschreitende Einbindung Österreichs in die Europäische Militärunion.
    Dieser Anspruch an Medien bedeutet auch, daß die Arbeitsweise mit 10,15 oder 20-Sekunden Spots oder 1000-Zeichen Meldungen zwar in einem Nachrichtenblock brauchbar ist, aber im gesamten Programm mit längeren Texten und Sendungen untermauert werden muß. Eine bloße Erfüllung der journalistischen Grundregel der 7W führt zu schnell zur Atomisierung von Informationen.
  • Vielfalt der Meinungen darstellen. Medien neigen dazu, angeblich irrelevante Positionen zu einem Thema auszublenden bzw. das Spektrum der Meinungen einzuengen. Meinungsvielfalt bedeutet, auch Positionen von unterrepräsentierten Gruppen sichtbar werden zu lassen. Bedenkt man/frau, daß etwa ein Drittel der österreichischen Bevölkerung gegen den Krieg in Jugoslawien war, wird die ausschließende Funktion der Medien sichtbar, denn Antikriegspositionen hatten fast nur in alternativen, freien Medien Platz.
  • Zugänglichkeit. Medien suggerieren Zugänglichkeit, indem sie z.B. LeserInnenbriefe veröffentlichen, Internet-Diskursforen anbeiten oder ZuhörerInnen-Anrufe durchschalten. Doch funktionieren alle diese Formen nach einem Schema: Wieder sind maximal 1000 Zeichen oder 15 Sekunden gefragt, eine fundiertere Form der inhaltlichen Auseinandersetzung oder gar die eigenständige Produktion von Inhalten ist nicht gefragt.
Nur freie Medien garantierten Vielfalt
Angesicht dieser oben skizzierten Anforderungen wird schnell klar, daß Medien, die der Profitlogik und dem Quotendruck unterworfen sind, diese Anforderungen gar nicht erfüllen können. Vielmehr befördern diese Medien zwar den „Information overkill“, aber gleichzeitig auch die Vereinheitlichung der Informationen und Meinungen.

Nur freie Medien erfüllen Anforderungen, die umfassende Informationen, Vielfalt und Zugänglichkeit sicherstellen. Das sind alternative Zeitungsprojekte, die nicht um der Marktgängigkeit willen, sondern um der Inhalte wegen produziert werden, das sind nicht-kommerziell agierende Internetprojekte und natürlich die Freien Radios.

Anhand des Bespiels des Jugoslawien-Kriegs wird das gut sichtbar und ich möchte hier kurz zusammenfassend berichten, welche Aktivitäten Radio FRO Linz 1999 während des Kriegszeitraumes gesetzt hat:

Mit dem Rebroadcast von Radio B92, einem von der Regierung Milosevic zugesperrten freien Sender in Serbien wurde den MitarbeiterInnen von B92 wieder eine Stimme gegeben. Sie berichteten nicht nur über die Repressionen des serbischen Regimes, sondern stellen auch klar, daß für die Opposition in Serbien Bomben keine Lösung für die Probleme der Region sein können. Diese Rebroadcast wurde gemeinsam mit anderen freien Radios in Österreich organisiert, im Rahmen der Medienkonferenz 1999 in Linz hatte B92 selbst die Möglichkeit seine Aktivitäten zu präsentieren. Darüberhinaus gab es eine umfassende, fast tägliche Berichterstattung zum Thema durch redaktionelle MitarbeiterInnen von Radio FRO. Schwerpunkt dabei waren verschwiegene Fakten z.B. der reale Inhalt des Vertrages von Rambouilet und viele Interviews mit ExpertInnen, die großteils Antikriegspositonen einnahmen und so in anderen Medien keinen Platz für ihre Meinung fanden. Ebenso wurde über die Antikriegsarbeit vor Ort direkt in Kooperation mit den AktivistInnen berichtet, z.B. live von der Kundgebungen gegen den Kreig am 23. April 1999 am Linzer Hauptplatz, also auch die reale, direkte Zugänglichkeit im Rahmen des Offenen Zugangs von Radio FRO für Interessierte sichergestellt.

Angesichts dieses Beispiels wird klar, daß viele Informationen und Meinungen zum Krieg in Österreich nur durch freie Medien transportiert wurden. Gäbe es sie nicht, gäbe es keine Stimme für Antikriegspositionen, sondern primär eine Stimme für Kriegsgeilheit und scheinheiliges Mitleidsgetue, meist ohnehin nur für eine Kriegspartei.

Der Krieg gegen Jugoslawien ist ein gutes Beispiel, wohin die Entwicklung freier Medien gehen muß, um Strategien zu entwickeln, die freie Medien zu mehr werden lassen als zu einem Nischenprogramm für ohnehin Interessierte. Der Rebroadcast von B92 wurde möglich durch Nutzung relativ neuer Technolgien, nämlich der Übertragung von Audiodaten live über das Internet mittels dem Dienst RealAudio. Freie Medien müssen meiner Meinung nach die technische Entwicklung intensiv verfolgen und die Realtität der Medienkonvergenz zur Kenntnis nehmen. Herrschende Medien betreiben cross media publishing, auch Freie Medien sollten ähnliche Strategien entwickeln und ihre Inhalte sowohl in Printform wie über den Äther als auch das Internet verbreiten. In einer guten Vernetzung sowohl verschiedenen Medienprojekte und einer engen Zusammenarbeit mit an Themen arbeitenden Initiativen wird das denkbar. Sich hierfür technische Möglichkeiten zunutze zu machen, ist relativ günstig, aber sehr effizent, um aus freien „Nischenmedien“ irgendwann einmal Medien zu machen, die von vielen Menschen gehört werden. Dann können sich auch Hör- und Lesegewohnheiten verändern und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Thema vor der Sensationsgeilheit die Regel und nicht mehr die Ausnahme werden. Eines der vorrangigsten inhaltlichen Ziele ist hierbei wohl, Kriege zu verhindern, denn eine genaue Analyse macht klar, daß der NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nur der erste Krieg war, der einem neuen Muster folgt. Wirtschaftliche Interessen werden nun auch wieder mit militärischen Interventionen verfolgt.