SELTSAME ZEITEN

Einige Gedanken zum Dezember-VERSORGER von Daniel Steiner

Nachdem die "Schicksalswahl" nun endlich vorbei ist, bleibt nun wieder Zeit, sich über wichtigere Dinge, nämlich über den alltäglichen Wahnsinn, der rund um uns passiert, Gedanken zu machen. Trotzdem halte ich es für wichtig, die verschiedenen, in der Vorwahlzeit geäußerten Positionen noch einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Denn manche der selbsternannten "Retter der Demokratie" haben in ihrer Angst vor F´lern in der Regierung etwas über das Ziel, nämlich wenigstens das bißchen Mitbestimmungsrecht, daß es momentan gibt, sowie die bestehenden Möglichkeiten Kunst und Kultur zu machen, zu verteidigen, hinausgeschossen.

Konkret möchte ich mich der Stadtwerkstatt und ihrer Zeitschrift, dem "VERSORGER" widmen. Die Dezembernummer trägt den Titel "Österreich, du Schaf!" und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Auswirkung der Spardiskussion auf die Arbeit der verschiedenen Kulturinitiativen. Befragt wurden einerseits die politisch Verantwortlichen für Kultur (Pühringer, Dobusch, Dyk und Janko) und andererseits Leute aus Linzer Kulturstätten (KAPU, Offenes Kulturhaus, Phönix und Posthof). Dieser Hauptteil ermöglicht besonders auch Menschen, die nicht direkt mit Kultur zu tun haben, einen Einblick in die finanziellen Zwänge, die die "Freiheit der Kunst" ganz schön einschränken. So weit so gut. Leider hat sich jedoch Georg Ritter gezwungen gesehen, diesen informativen Beitrag, mit einer Analyse der aktuellen politischen Situation Österreichs, einzuleiten. Seiner Meinung nach hat sich das Rätsel um die Intuition der Briefbombenmörder jetzt gelöst: "Die zeitliche Parallele der Ereignisse ist für mich kein Zufall. Zuerst Bombenterror, dann Regierungsauflösung und dann wieder eine Serie. Jetzt war die Absicht dieses Terrors offensichtlich. Man soll dem Staat nichts mehr zutrauen." Also, daß die ÖVP aufgrund des Bombenterrors Neuwahlen provoziert hat, ist schon eine sehr verwegene Theorie, aber gut, möglich ist ja alles. Plausibler erscheint mir da schon der zweite Teil der Ritter´schen These über die Intuitionen der feigen Verbrecher: die Republik Österreich soll sicherlich destabilisiert werden. Höchstwahrscheinlich deshalb, weil die minimale rechtliche Absicherung (="Rechtsstaat"), die die Bevölkerung gegenüber dem Staat und eventuellen Willkürakten seinerseits hat, diesen Arschlöchern zu viel ist. Die wollen einen Staat, in dem es keine realen Möglichkeiten mehr gibt, sich gegen irgendwelche Vorgehensweisen der Exekutive legal zu wehren. "Faschismus" (1) wird soetwas normalerweise genannt.
Doch jetzt wird´s grotesk. Ritter meint weiter, daß nun schon auch die bürgerliche Presse auf die BBA hereingefallen ist, da sie ihr Vertrauen in die Polizei, die diese Verbrecher noch nicht ausforschen konnte, verloren hat. Er schreibt nun sogar tatsächlich, in einer Publikation der STADTWERKSTATT, die selber einmal ein Haus besetzt hat, den Satz: "Kein Vertrauen in die Polizei ist kein Vertrauen in den Staat."

Ich habe wirklich keine Ahnung, in welcher geistigen Verfassung Ritter während des Schreibens dieser Zeilen war, aber ich hoffe, das exzessiver Alkoholgenuß am Vorabend Grund dieser Entgleisung ist, denn wenn er allen Ernstes solche Positionen und die daraus folgenden Konsequenzen vertritt, dann beginne ich mich wirklich zu fürchten. Weitergedacht hieße dies, daß jegliche Kritik an der Polizei, dem Staat oder den Zuständen, die durch diese verursacht werden, nicht zulässig ist, da sie nur den Faschisten hilft. Also egal ob STANDARD oder TATBLATT, LIBERALES FORUM oder KPÖ, SOS-Mitmensch, Amnesty International, Die GRÜNEN, die SJ, das PHÖNIX, das EKH, KAPU, KANAL oder alle anderen, die sich irgendwie kritisch äußern, egal wie ernst das gemeint ist - das sind alles nur unbewußte Gehilfen der BBA.

Nein, von irgendwelchen Faschisten (2) sollte sich niemand den Mund verbieten lassen, und alle, die der Ansicht sind, daß auch jetzt nicht alles optimal ist, sollten das auch weiterhin so laut wie möglich sagen, schreiben, plakatieren etc. Ein wenig wird sich ja doch dadurch verändern lassen.
Ich persönlich habe aber übrigens nicht besonders viel Hoffnung, daß es jemals einen Staat geben wird, dem ich sonderlich vertrauen kann.

(1) Klarerweise gibt es noch viele andere Merkmale, die Faschismus von Demokratie unterscheiden. Ich denke nur an die Möglichkeiten für Menschen, sich gewerkschaftlich in Parteien, Vereinen etc. zu organisieren, oder selbst Zeitungen, Radio, Fernsehen etc. zu machen. Bedacht werden muß dabei, daß der Übergang zwischen demokratischen und faschistischen Systemen fließend ist. Dabei meine ich einerseits die mögliche historische Entwicklung, die ein System auf dem Weg von einer Demokratie zu einem faschistischen Staat durchmacht (die Nazis haben auch ein paar Jahre gebraucht, bis sie Deutschland dort gehabt haben, wo sie es wollten), andererseits die Tatsache, das sich oftmals Merkmale von Faschismus und Demokratie in einem System gleichzeitig vorkommen (z.B.: Türkei, Kroatien, aber auch bei uns, besonders seit dem EU-Beitritt. Die Abstimmung war ja desshalb nötig, weil der Beitritt das demokratische Prinzip verletzt hat ...). Wie mensch das ganze dann nennt, bleibt der jeweiligen Einschätzung überlassen.
(2) Hier ist nicht Ritter gemeint.