"16 Tage gegen Gewalt und
Menschenrechtsverletzungen
an Frauen"

(25.11.95 bis 10.12.95)

Eine Nachreichung von Elfriede Kern


Nach wie vor sind es die Mütter, denen die Sozialisation ihrer Kinder obliegt. Und sie lehren ihre Töchter, was man sie selber gelehrt hat. Sie lehren sie, daß die Familie Vorrang hat, daß die eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintanzustellen sind, zum Wohl der Familie, daß es wichtig ist, die Familie nach außen hin möglichst intakt erscheinen zu lassen und daß ein gewisses Maß an Opferbereitschaft nicht schadet. Die Vermittlung von Sekundärtugenden steht nach wie vor hoch im Kurs, nach wie vor lehrt man die Mädchen Verständnis für die Schwächen anderer zu haben, man lehrt sie Höflichkeit und Zurückhaltung. Das sind überaus nützliche Eigenschaften. Nützlich schon in Kindergarten und Schule und es sind Eigenschaften, die man nicht früh genug einüben kann, damit sich später das Verständnis für den gereizten Ehemann ganz automatisch einstellt. Die gute Ehefrau wird ihn schonen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, wenn ihn der Kinderlärm beim Fernsehen stört, sie wird ihn mit den Schulproblemen der Kinder verschonen, mit den eigenen Problemen natürlich auch, sie wird sogar verstehen, wenn er auf den quengelnden Säugling oder den pubertierenden Sohn eifersüchtig ist. Und sie wird ihm verzeihen, wenn ihm dann wegen all dieser kaum zu ertragenden Frustrationen hin und wieder die Hand ausrutscht. Und wenn er dann zugeschlagen hat und es ihm hinterher wirklich leid tut, dann ist das Reservoir der ,richtigen' Frau noch immer nicht ausgeschöpft. Sie wird, so will es das Ritual, alles vergeben und vergessen und ihm sein tägliches Quantum Liebe, oder was er eben darunter versteht, nicht über Gebühr vorenthalten. Das würde ihn nur neuerlich reizen. Dergleichen ist fatales Anschauungsmaterial für die Töchter. Auch für die Söhne, im übrigen.

Ist es nicht entlarvend, daß - wie jüngere Untersuchungen zeigen - die koedukative Unterrichtsform, die ja an österreichischen Schulen heute die Norm ist, daß diese Unterrichtsform letztlich wiederum nicht den Mädchen nützt, sondern den männlichen Schülern? Lehrer beobachten, daß in koedukativ geführten Klassen die Dominanz der männlichen Schüler unangefochten ist. Woran kann es liegen, daß nach wie vor der männliche Schüler der Schüler per se ist? Wieso melden sich Knaben öfter zu Wort und haben keine Angst, auch etwas gänzlich Falsches zu sagen? Und wieso haben aber Mädchen die besseren Noten? Weil Mädchen durch Fleiß wettmachen, was ihnen an Intelligenz fehlt. Das ist die gängige, atavistische Erklärung. Aber seit geraumer Zeit weiß man, daß die geschlechtsspezifische Sozialisation bereits beim Säugling einsetzt, Knaben bekommen, das ist wissenschaftlich vielfach untersucht und bestätigt, vom Säuglingsalter an mehr Zuwendung, sie lernen sehr früh, daß es ihr gutes Recht ist, die eigene Person in den Vordergrund zu stellen, die eigenen Interessen mit Nachdruck zu vertreten, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren, beide Geschlechter durchlaufen also einen Lernprozeß, der mit Schuleintritt bereits abgeschlossen und irreversibel ist und die männliche Dominanz in koedukativen Klassen besser und etwas differenzierter erklären würde. Und zu entmutigenden Schlußfolgerungen führen würde. Denn dann liegt es nahe, daß den Männern, mit denen es die gegenwärtige Frauengeneration zu tun hat, ohnehin nicht zu helfen ist. Daß der im Extremfall prügelnde, im Normalfall indifferente Ehemann, der zu Hause vor allen Dingen seine Ruhe haben will und nur alarmiert den Kopf hebt, wenn die Dienstleistungen der Ehefrau ausbleiben, daß der sich nicht mehr ändern wird, weil er sich nicht mehr ändern kann.
Aber geben wir die Hoffnung nicht auf.
Hoffen wir, daß die Müttergeneration, der wir diese sozial imkompetente, zu wirklicher Emphatie und Zärtlichkeit unfähige, und, wenn ihnen die Worten ausgehen, was bei Streitgesprächen sehr bald der Fall ist, auch zuschlagende Spezies Mann verdanken, daß diese Müttergeneration die letzte war, die einzementierte Rollenvorstellungen in die Köpfe ihrer Kinder gepflanzt hat. Hoffen wir, daß ihre Ablöse bereits erfolgt ist und daß die künftigen Mütter den Wunsch haben, es anders und besser zu machen. Vielleicht kommen ihnen geänderte, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu Hilfe. Vielleicht ändert sich also in Bälde, was sich durch die Jahrhunderte nicht geändert hat. Und was letztlich zur Einrichtung von Frauenhäusern geführt hat. Vielleicht stehen sie in nicht allzu ferner Zukunft leer, weil sie nicht mehr gebraucht werden, weil alles sich zum Besseren gewendet hat, weil es einfach keine Frauen mehr gibt, die sich vor den tobenden Monstern, die sie ,ihren ' Mann, ,ihren' Freund, ,den Vater ihrer Kinder' nennen, in Sicherheit bringen müssen. Wir wollen es hoffen. Auch ganz fest daran glauben. Des öfteren allerdings auch daran zweifeln, wenn uns die ewig gleichen Verhaltensmuster noch immer begegnen, wenn wir sehen, daß Mädchen noch immer als Mädchen und Knaben noch immer als Knaben erzogen werden. Hoffen wir, daß das in Zukunft die seltene Ausnahme ist. Daß es so gut wie gar nicht mehr vorkommt. Es wäre zum Wohl aller.

ELFRIEDE KERN
bisher erschienen:
"Geständert", Erzählungen,
Edition Wehrgraben Steyr, 1994
"Fore!", Erzählungen, Kulturamt Linz; 1995
"Etüde für Adele und einen Hund" Roman,
Residenz Verlag Salzburg, 1996


MAI 96

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