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The Green Line: Encounter

Wolfgang Preisinger, DIE FABRIKANTEN

Das Projekt:
Eine kleine Gruppe Menschen verschiedener Nationalitaeten*, wandert entlang einer ehemaligen Landesgrenze zwischen Jordanien und Israel, die es eigentlich nicht mehr gibt, da sie im Sechstagekrieg von der israelischen Armee durchstossen wurde, und die palaestinensischen Gebiete vereinnahmt wurden. Die anektierten Gebiete, heute bekannt als Westbank, sind dennoch von Israel getrennt, der arabisch dominierte Kulturraum vom restlichen Israel abgegrenzt.)

Wir begrenzen zunehmend unsere Möglichkeiten Erfahrungen mit dem eigenen Leib zu sammeln, am eigenen Koerper wahrzunehmen. Immer mehr bestimmt uns die Informationsgesellschaft, in der wir in der Regel Informationen, manchmal auch Wissen, meist aus zweiter oder dritter Hand erhalten.
Diese sich zunehmend veraendernden, kulturellen Bedingungen der Informationsgewinnung erfordern neue oppositionelle Strategien, die Welt zu erforschen, bzw. alte Strategien unter veraenderten Gesichtspunkten:
Eine davon ist das Gehen, das Abschreiten, das Bewandertsein, das sich vielfach nur durch Umherirren erreichen laesst. Nichtzuletzt sprechen wir ja in terretorialen Kategorien von Wissens-gebieten.
Der gerade Weg ist zwar der Kuerzere, aber das Kriterium "Kuerze" ist oft nur im Bezug auf Schnelligkeit, Fortschritt von Bedeutung, ein Kriterium der Moderne also, die wiederum selbst in der Krise steckt, in den Augen mancher Philosophen ueberkommen ist.
Legt man sinnlich Masstäbe an, z.B. wenn man sich einen sexuellen Akt vergegenwaertigt, wer bemueht sich dabei-sofern es angenehm ist- um kurze Zeitdauer.
Anders als noch vor hundert Jahren haben wir allerdings die Wahl zwischen schnellen Verkehrsmitteln und besinnlichem Bewegen mit und im eigenen Koerper. Und genau diese Moeglichkeit der Wahl, sowie dieses nicht Notwendige, dieser vordergruendig sinnlose Aspekt des Gehens birgt eine neue Qualitaet in sich. Nicht selbstquälerisches Vorankommen, sondern erhoehte Intensitaet in den Wahrnehmungsmoeglichkeiten sind dabei unser Antrieb. rastenSo wie aufgrund der Kommunikationstechnologien, die "face to face" Kommunikation einen voellig veraenderten, weil nicht mehr selbstverstaendlichen Stellenwert bekommen wird, werden wir lernen z.B. das Gehen, als eine weitere Form uns die Welt anzueignen, in einem neuen Licht zu sehen. Koerperliche Erregung steigert zudem unsere Aufnahme- und Erlebnisfähigkeit, ja ermoeglicht diese ueberhaupt erst. Computerbildschirme, zum Beispiel, erregen uns mit ihren Strahlen und mit der Sitzposition, zu der sie uns meist anhalten, nur sehr eindimensional.
War es noch vor kurzer Zeit eine Sensation, dass man in nur wenigen Stunden mit dem Zug die Strecke von Paris nach Marseille zuruecklegen kann, so erstaunt es uns wieder umso mehr, dass 20 km genuegen koennen, um einen ganzen Tag zu Fuss zu reisen. Motiviert, nicht nur einen Weg hinter uns zu bringen, sondern sich auf den Weg zu machen. Da diese Wege durch Geschwindigkeit zu verschwinden drohen erscheint eine Dehnung fuer den Reiselustigen willkommen. Und Reisen bedeutet neue Horizonte zu entdecken.
Speziell beim Projekt Greenline geht es nicht um einen Friedensmarsch bei dem wir uns laechelnd die Haende geben um zu demonstrieren, wie schoen das friedliche Zusammenleben funktioniert, nein, diese Frage soll als Kernpunkt des Projektes vorerst offen bleiben, der Prozess kann freien Lauf nehmen.
Wolfgang Preisinger, Jerusalem Okt. 1996
* Orthographie: Fabrikanten/Internet

Die politische Situation ist weiterhin gespannt, die Trauerfeierlichkeiten "1 Jahr nach der Ermordung des Staatschefs Rabin" sind im Gange, Grossdemonstrationen gegen Netanyahu finden regelmässig statt. Die zum Stillstand gekommenen Verhandlungen um Hebron sowie angekündigte Sprengstoffanschläge von Extremisten beherrschen die Medien.

Wir brechen am 1.November auf, verspätet, Prof. Dr. Saleh Abdel Jawad kann nur illegal zum vereinbarten Treffpunkt kommen, muss auf seinem Weg zu uns Checkpoints zu Fuß umgehen, denn Israel ist für die Palästinenser seit 3 Jahren gesperrt, und die Militärkontrollen wurden in den letzten Tagen verschärft. Wir beginnen in "Lifta", einem Dorf, in dem die Bewohner vertrieben worden sind, aber die Häuser ausnahmsweise nicht dem Erdboden gleichgemacht wurden. Lifta liegt am Rande Jerusalems. Dort stösst noch Hadas Ophrat, ein israelischer Künstler und Leiter des Performance-festivals "Phenomena" zu uns. Ihn haben wir kurzfristig gefragt und er hat sich spontan entschieden, uns für einen Tag zu begleiten. Im Laufe des Tages, des Gehens, im Laufe der Diskussionen wird er vollständiges Teil der Gruppe. Er begleitet uns bis in den Kibbutz, wo wir die erste Nacht verbringen werden und nimmt mit uns noch das Abendessen ein. Allen erscheint es eigenartig, daß er am nächsten Tag nicht mehr dabei sein wird, auch Hadas selbst würde gerne weiter mitgehen wären da nicht viele Termine. Ebenso ergeht es Aron Adami, der ebenfalls nur für einen Tag mitgehen kann.
Schon am ersten Tag stellen wir fest, daß es nicht immer einfach ist, die grüne Linie zu finden und ihr zu folgen. Manchmal müssen wir über Mauern steigen oder in unwegsamem Gelände vorankommen, teilweise brauchen wir nur Stacheldrähten, Militärstrassen oder Absperrungen folgen. In Hable - am dritten Tag- finden wir eine 2,5 m hohe Massivbetonmauer, die Israel tatsächlich begonnen hat zu errichten. Sie soll einmal mit einem elektronischen Überwachungssystem ausgestattet werden und nach ursprünglichen Plänen die gesamte Westbank von Israel trennen bzw. Israel schützen. Aber es wird nur langsam gebaut, einerseits fehlt es an Geld, andererseits an Sinnhaftigkeit, mittlerweile scheinen selbst konservativste Politiker einzusehen, daß dieses Bollwerk niemanden schuetzen wird und zusätzlich eine Grenze errichtet wird, wo man doch behauptet, daß keine besteht, (in Israel findet man kaum Landkarten mit der grünen Linie, für die Wanderung wurden wir für brauchbare Karten nur in Archiven fündig).
Wir gehen durch geteilte Dörfer, entlang an israelischen, kasernenartig "geschuetzten" Siedlungen, und durch viele kleine arabische Orte. Der Unterschied könnte wohl grösser nicht sein. Innerhalb einiger hundert Meter gelangen wir von slum-ähnlichen Gebieten durch kaum wirksame Absperrungen zu absolut cleanen, bürgerlichen Häuserreihen, die sich vorallem durch ihre Eintönigkeit und "Bauklötzchenästhetik" auszeichnen. Da wir immer wieder die "Grenze" queren, wird es zum dauernden Wechselbad. Arabische Dörfer auf der israelischen Seite haben im Vergleich zur Westbank ein ganz anderes Flair, die Menschen sind offener, die Athmosphäre ist relaxter. Der palästinensische Fotograf Akram Safadi meint aufgewühlt, als wir am letzten Punkt der Reise, in einem ebenfalls geteilten Dorf ankommen: " Kannst Du den Unterschied fühlen. Ich hab genug von Geschichte, von all diesen Gesprächen über Leid und Opferrollen, diesen deprimierten Gesichtern, ich will die Situation nicht ignorieren, aber ich hab es satt ständig darüber zu sprechen, auch wenn wir besetzt sind, ich will einfach leben." Apparaturen der Medien als Waffe dangerBesonders wenn wir in arabische Dörfer der Westbank gelangen, reagieren die Menschen sehr verängstigt, rufen Mütter aus Angst ihre Kinder in die Häuser, sobald sie uns von der Ferne erblicken. Nicht nur, daß eine wandernde Gruppe Befremden auslöst, unser obsessives Dokumentieren mit Tonaufnahmegeräten, Videokamera und Fotoapparaten löst Angst aus, ist aggressiv. Selbst wenn die palästinensischen Teilnehmer beginnen, sich mit den Dorfbewohnern zu unterhalten, halten sie uns mit gutem Grund für fremd. So meinte eine Dorfbewohnerin erstaunt zu den anderen Umherstehenden über Prof. Dr. Saleh Abdel Jawad: "Er spricht ja Arabisch wie ein Araber!". Soldaten bei den Checkpoints reagieren auf das Equipment der Gruppe ebenfalls vorsichtiger und zugleich nervöser als sonst.
Der ständige Kontakt mit den Vertretern der internationalen Medienagenturen und Stationen wie CNN, BBC, NBC via Mobiltelefon ist weiterer Bestandteil des Projektes und wäre unser Druckmittel, unsere "Waffe" im Falle einer Verhaftung gewesen. Der Vorwurf einer politischen Aktion in militärisch besetztem Gebiet, wäre zwar nicht richtig gewesen, hätte aber zu einer Festnahme führen können, noch dazu mit einem illegalen Mitgeher aus der Westbank und dann wäre die Medienmaschinerie in Bewegung gekommen, um Druck auszuüben. Sich (k)ein Bild machen: Zweimal haben wir in diesen 5 Tagen in einem Kibbutz auf israelischer Seite übernachtet, einmal in einem arabischen Dorf und dort aufgrund der fehlenden Infrastruktur im Zimmer des Bürgermeisters im Gemeindeamt. Die letzte Nacht verbrachten wir in der Stadt Tulkarim - die gemäß dem Osloer Friedensabkommen bereits der palästinensischen Autorität unterstellt ist; dort in einer Institution für gehandicapte Kinder.
Erfolgreich war das Projekt deswegen, weil sich nicht nur unbedarfte Österreicher und Deutsche, sondern auch die sehr in die spannungsreiche Situation involvierten Israelis und Palästinenser ein verändertes, lebendiges Bild machen konnten, da man sich der Situation wirklich selbst aussetzte und nicht auf Meldungen aus Zeitungen und Rundfunk oder Aussagen von Politiker angewiesen ist. Die Zeitdauer von 5 Tagen, sowie die Interaktion zwischen Personen mit verschiedenen Backgrounds hatte ihre Wirkung.
So meinte Dr. Saleh Abdel Jawad, Direktor des Bir Zeiter Universtiätsinstitutes, das sich mit der Dokumentation zerstörter, palästinensischer Dörfer beschäftigt: "Für mich ist das unglaublich, ich kann das in meinem Kopf nicht zusammenbringen, seit drei Jahren darf ich nicht nach Jerusalem, nicht einmal für ein Gebet und heute Nacht schlafe ich in einem Kibbutz."
Oder der israelische Künstler Aron Adami: "Seit meiner Militärzeit in Hebron war ich nicht mehr in der Westbank, es ist unglaublich schön in dieser Landschaft einfach zu wandern."
Jens Windolf, deutscher Architekt meint: "Ich kann diese Grenze nur in dem Augenblick wahrnehmen oder erfahren, wenn ich sie überquere, ihr quer komme, und sie, auch wenn sie mir als Mitteleuropäer noch so irrational erscheint, für meine Bewegung nicht weniger als akzeptieren."
"Wir (gemeint sind Araber und Israelis) sind uns sehr ähnlich in der Mentalität, aber wir können noch nicht in einem Staat leben." Hadas Ophrat, israelischer Künstler
"Ich spreche über Intellektuelle, die in diesem Land Angst haben, die Wahrheit zu sagen: wir werden nähmlich viel mehr Probleme haben in zwei geteilten Staaten zu leben, Probleme wirschaftlicher, sozialer ja jeglicher Art." Akram Safadi, palästinensischer Fotograf
"Ich habe es bisher noch nicht ausgedrückt, ich war immer sehr optimistisch, aber ich glaube wir alle verlieren zur Zeit eine große Chance." Hadas Ophrat, israelischer Künstler
"Das Leben ist hier wundervoll, es gibt kein Stück Erde, wo die Sonne und die Landschaft so schön sind wie hier." meint ein alter, palästinensischer Hirte, mit israelischer Identität den wir auf unserem Weg treffen
"Es sind doch in Deutschland unter Hitler allgemein menschliche Tendenzen zum Vorschein gekommen, die sich auch anderswo entwickeln und verbreiten könnten. Auch in Israel könnte das passieren, und damit beschäftige ich mich." Prof. Dr. Zimmermann.
"Ich leide hier unter vielen psychosomatischen Symptomen, wie scheinbarer Herzinfarkt und Stress. Vor 2 Monaten war ich in den USA bei einem Symposium und alle Krankheitsanzeichen waren wie weggezaubert." Prof. Dr. Saleh Abdel Jawad, Palästinenser.
" Eigentlich wissen wir doch gar nichts." Aron Adami, israelischer Künstler.
"Es ist doch auch mal wichtig, in diesem Land ein vordergründig unpolitisches Projekt zu machen, wo das Ergebnis offen ist, und nicht immer in schwarz oder weiss kategorisiert wird. Mich interessiert ja, auf welcher intellektuellen Ebene man sich nicht versteht." Wolfgang Preisinger, österreichischer Künstler.
"Das Problem ist doch die Ungleichheit von Bürgern und nicht immer diese großen, politischen Dimensionen," Prof. Dr. Saleh Abdel Jawad, Palästinenser
"Israelis und Palästinenser, auch wenn sie sehr extrem sind, können sich gegenseitig besser verstehen, als beide (bei Symposien) auf der einen Seite und die Europäer auf der anderen Seite. Die Europäer sind soweit Außenseiter, die sich ständig ein Theater erwarten, wo sich die Primitiven des Nahen Osten auf den Kopf schlagen, ja das Auditorium ist dort meist viel gehässiger, die wollen einfach Blut sehen." Prof. Dr. Zimmermann, Israel.
"Wir alle fühlen uns doch als Minderheit." Hadas Ophrat, israelischer Künstler.
"Ihr macht ein vereintes Europa, ja, ihr versucht doch euren Reichtum zu verteidigen, was ist daran gemeinsam." Akram Safadi, palästinensischer Fotograf.
"Wer kümmert sich um humanitäre Freiheit, Siedler, nein, Amerikaner, nein, Franzosen, Deutsche, nein. Niemand, wir verlieren doch gerade weltweit einen Kampf." Hadas Ophrat, israelischer Künstler
"Für mich war das Gehen der erste Teil des Projektes und da ist das Konzept ja voll aufgegangen, nun beginnt der zweite Teil, in der Dokumentation unserer Eindrücke, indem wir mit Leuten über dieses Projekt sprechen, unsere Erfahrungen mitteilen." Simone Hartmann, deutsche Künstlerin


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Dezember 96


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